Presse

6-Juni-2011

Lilith's Return

Ruth Kofmel

Adam war ein Langweiler

Es geschieht mir ganz recht. Komme ich daher und sage: «Keine Integration will ich sehen, vergesst die politische Korrektheit – gebt mir Kunst, möglichst konsequent und möglichst mutig.» Nur, wenn ich das dann bekomme, bin ich erst einmal so was von überfordert! Der Regisseur Frank Krug und der Choreograf Davide Camplani haben den Text «Lilith’s Return» von Joumana Haddad als Grundlage für ihr gleichnamiges Musik-Theater genommen. Es spielen drei Frauen mit dem Down-Syndrom vom Berliner Theater RambaZamba, begleitet von fünf Musikern. Es fängt harmlos an mit Gott im Nadelstreifenanzug, der aus Lehm Figuren knetet. Ich freue mich über das gelungene Bühnenbild und sitze etwas müde vom Arbeitstag entspannt in meinem Stuhl. Nicht für lange. Denn als nächstes haben die zwei jungen Frauen, die die Lilith verkörpern, ihren Auftritt und sie sind bis auf ein paar hautfarbener Unterhosen nackt. In meiner Überheblichkeit, erlaubte ich mir schon hie und da den Gedanken: «Ach ja, diese Nacktheit, haben wir nun schon oft gesehen; sie ist nicht immer gewagt und macht nicht immer Sinn.» Aber diese zwei Mädchenkörper, Ende der Pupertät, mit den spitzen, kleinen Brüsten, den runden Bäuchen, stämmigen Beinen, üppigen Hintern, dem Ausschlag, der sich über die Seite ausbreitet, der Glatze am Hinterkopf, die lassen meine Entspannung und Zurückgelehntheit in Sekundenschnelle in Beklemmung umschlagen. Und selbstverständlich macht es Sinn, diese Anfangsszene nackt zu spielen. Das tun sie also, sprechen ihren Text – ich weiss nicht, wohin gucken. Ertappe mich und andere Zuschauer dabei, wie der Blick zu den Musikern flüchtet. Aber, die zwei stehen ja kaum da vor mir, damit ich nicht hinschaue, nicht zuhöre, mich dem nicht aussetze. Also schaue ich hin und bin erleichtert, als sie sich endlich Kleider überziehen – ein weisses für den Tag, ein schwarzes für die Nacht. Das macht es etwas einfacher, aber auch nur ein wenig. Da ist immer noch dieser Text, der davon erzählt, wie die Lilith aus dem Paradies flieht: «Adam und das Paradies, sie haben mich angeödet (…).» Ein Text, der nichts ausspart, was das Frausein ausmacht. Die Widersprüchlichkeiten, die Unsicherheiten und das Unvereinbare. Es ist hohe Konzentration gefordert, um die Schauspielerinnen zu verstehen – aber ich komme nicht umhin, trotz der verwaschenen, manchmal undeutlichen Aussprache, das Bühnendeutsch zu bewundern. Und ich komme nicht umhin, vor allem bei der einen Darstellerin immer wieder zu denken: «Was für eine Schauspielerin!» Ich erhole mich langsam von meinem Einstiegsschock und muss lächeln, als sie aus der Glaskabine heraus ins Publikum guckt und zu Gott sagt: «Entspannen sie sich etwas.» Das Stück endet mit den zwei Frauen, die sich daran machen den Deckel der Kiste, die mit Paradies angeschrieben ist, anzuheben. Ich bin dann froh um meine Sitznachbarin; wir gucken uns an und wollen etwas sagen, aber heraus kommt nur ein knappes «Wahnsinn» und «Krass» – sonst sind wir sprachlos. ..

28-05-2011

L'orient n'existe pas

Simona Pfister

Ein Streifzug durch ein Klischee Der Unichor Bern liess die europäische Orientprojektion in «L'orient n'existe pas» auferstehen

Wie die abendländische Vorstellung vom sagenumwobenen Morgenland aussieht und wie viel sie mit der Realität zu tun hat, zeigte der Unichor Bern in seinem Jubiläumsstück. Die Bilder der Umbrüche im arabischen Raum haben für Aufruhr in den Köpfen der westlichen Medienöffentlichkeit gesorgt. Ein arabisches Volk mit dem Wunsch nach Menschenrechten und Demokratie passte so gar nicht zur Vorstellung, die sich das Abendland von der fremden Welt geträumt hatte: Das Morgenland als irrationaler, sinnlicher und rückständiger Ort. Genau dieses plötzlich so überholt gewordene Bild machte der Unichor Bern zum Gegenstand seiner jüngsten Produktion, die Mitte Mai in Bern und Basel aufgeführt wurde. Glausers «Fieberkurve» Die Themenwahl hatte mit den Umstürzen im arabischen Raum allerdings nichts zu tun. Denn bereits vor zwei Jahren beschlossen Maurus Blumenthal, Produktionsleiter des Chors, und dessen Dirigent Matthias Heep, für das 25-Jahr-Jubiläum des Unichors die europäischen Orient-Vorstellungen musikalisch, literarisch und optisch auf der Bühne zu verwirklichen. «Wir wollten die Jubiläumsaufführung nutzen, um auf eine nichtintellektuelle Art unsere eigenen Projektionen zu hinterfragen», erklärt der 27-jährige Produktionsleiter und Absolvent der «Middle Eastern Studies» den Entscheid. Sie holten sich dazu die Unterstützung der Dramaturgin Magdalena Nadolska, die zusammen mit Heep den Text zum Stück zusammenstellte: eine Collage von Auszügen aus der europäischen Orient-Literatur. Während der Schauspieler Simon Grossenbacher die zahlreichen Zitate aus Glausers «Fieberkurve» interpretierte, komponierte Heep Melodien zu den übrigen Textfragmenten, wobei er sich grosszügig auch wohlbekannter musikalischer Orientalismen bediente. Auf der Bühne wurden die zeitgenössisch-klassischen Stücke des Dirigenten gesanglich vom Unichor und von der Solistengruppe SoloVoices, instrumental vom Ensemble Phönix Basel umgesetzt. Mit Modernem konfrontiert Doch wie in der politischen Realität sollte das Publikum auch im Stück vom okzidentalem Traum immer wieder in die orientalische Wirklichkeit gerissen werden: So waren neben den europäischen Klassikern auch arabische Textstellen aus den Werken des libanesischen Autors Khalil Gibran zu hören. Vorgetragen wurden sie auf der Bühne vom ägyptischen Alt Rehab Matawi nach Kompositionen Mahmoud Turkmanis. Der libanesische Musiker untermalte den Gesang gleich selber mit seiner Oud, wobei ihn Khaled Owaida auf der arabischen Geige und der Perkussionist Amro Moustafa unterstützten – wie die Sängerin beides Mitglieder des ägyptischen Staatsorchesters. Die Kompositionen Turkmanis unterbrachen und vermischten sich spielerisch mit den europäischen Musikteilen, so dass sich auch auf klanglicher Ebene Projektion und Realität gegenüberstanden. «Wir wollten das westliche Orient-Bild bewusst auch musikalisch dekonstruieren und mit der modernen arabischen Realität konfrontieren», sagt der Dirigent Heep. Deshalb hätten sie Mahmoud Turkmani für eine Zusammenarbeit angefragt. Schliesslich versteht sich der libanesische Musiker als Repräsentant einer arabisch-modernen Musik. «Viele Zuhörer waren davon offenbar irritiert», erzählt Produktionsleiter Blumenthal. Sie hätten wohl mehr «klischeehafte», arabische Ton-Muster erwartet. Mehr Publikum als sonst Trotzdem hat die Produktion ein grösseres Publikum angelockt als die früheren Aufführungen des Unichors; sicher auch wegen der politischen Brisanz von «L'orient n'existe pas». «Natürlich hat das Stück durch die Umbrüche eine ganz neue Aktualität und Relevanz gewonnen», meint der Produktionsleiter Maurus Blumenthal. Auch innerhalb des Chors hätte das für Diskussionen gesorgt. So findet beispielsweise Daniela Kuster, Präsidentin des Chors und Zahnmedizin-Studentin: «Ich habe die Ereignisse anders verfolgt, weil ich plötzlich einen direkten Bezug dazu hatte.» Vor allem aber durch die Bekanntschaft mit den arabischen Musikern hätte sich der Blick des Chors verändert – und offenbar auch der des Dirigenten: «Man fiebert regelrecht mit, wenn man plötzlich jemanden persönlich kennt, der in den Demonstrationen drinsteckt», sagt Matthias Heep. Tatsächlich waren die Musiker aus Kairo in die Proteste verwickelt, so dass sie erst kurz vor der Premiere in die Schweiz ausreisen konnten. Nach deren Ankunft offenbarte sich dem Dirigenten und den Chormitgliedern dann ein tatsächlicher Kulturunterschied. «Die ägyptischen Musiker haben einen ganz anderen Probestil als die europäischen Interpreten», erzählt Maurus Blumenthal. «Die Hauptarbeit findet bei ihnen in den Proben statt, wo sie auch viel improvisieren und ihr Spiel erst wirklich ausfeilen.» Für die Chormitglieder hingegen sei klar, dass man zu Hause nach vorgegebenen Noten übe, um schon eingespielt zur Probe zu kommen. Ist also doch etwas dran an dem alten Orient-Klischee vom trägen, sinnlichen Araber, oder tappt man gleich wieder in die Klischee-Falle mit dieser Vermutung? «In jeder Vorstellung steckt auch ein Körnchen Wahrheit», meint Blumenthal schmunzelnd. .

2010-09-30

Eos Guitar Quartet & Nuqta

Peter Päffgen - Gitarre & Laute ONLINE

… dann erzählt er Geschichten. Geschichten, die voller Geheimnisse sind. Geschichten aus tausend und einer Nacht …

So, nun noch etwas zu Mahmoud Turkmani, dessen Name mir unbekannt war, bis ich die CD „21+“ gehört habe. Ich habe auch eine CD gefunden, die ich vor einigen Jahren sträflich unbeachtet gelassen habe: Mahmoud Turkmani ist 1964 im Libanon geboren. Gitarre und Oud hat er gelernt und rasch, im Alter von sechzehn Jahren schon, mit seiner Musik Geld verdient. Da es die politischen Bedingungen in seinem Land nicht erlaubten Musik zu studieren, ist er nach Moskau gegangen und hat dort 1989 seine Examina abgelegt. Danach ging er in die Schweiz (wir kommen dem EOS-Quartett näher!) um dort bei Oscar Ghiglia die höheren musikalischen Weihen zu erringen, gleichzeitig auch bei Juan Carmona in Andalusien (Flamenco) und dann bei Stephan Schmidt in Bern. Er, Schmidt, hat Mahmoud ermuntert, auch kompositorisch tätig zu bleiben … was er beherzigt hat, denn alle Kompositionen dieser CD sind von Mahmoud selbst. Und die Stücke spiegeln sein Leben wider und zwar ein Leben in den unterschiedlichsten kulturellen Umgebungen. Geboren ist er in einem arabischen Land und dort auch hat er auch die ersten, schon sehr weitreichenden musikalischen Erfahrungen gemacht. Sie sind nicht durch ein Studium an ihn herangetragen worden, er hat sie im täglichen Leben gemacht. Lernend durch Erfahrung und nicht durch Unterweisung. Später hat er sich vom Autodidakten zum akademischen Musiker entwickelt und dabei hatte er zum Glück Lehrer, die ihn nicht in einen westlich-klassischen Musiker ummodeln wollten. Dabei kennt Mahmoud Turkmani sich durchaus im klassischen Repertoire und in klassischen Techniken aus … aber reizvoll sind seine Stücke durch ihr Schweben zwischen Welten. Auf mich wirken sie alle wie Improvisationen, und zwar Improvisationen mit uns fremdem Material. Auch, wenn Mahmoud Turkmani auf einer temperiert gestimmten Gitarre spielt, habe ich den Eindruck, er habe unterschiedliches Tonmaterial zur Verfügung, andere Intervalle und, daraus resultierend, andere Harmonien. Wenn er Oud spielt, wie in „Hdiye“ zum Beispiel, dann erzählt er Geschichten. Geschichten, die voller Geheimnisse sind und die für uns Europäer fremd und exotisch wirken … aber Geheimnisse haben uns an Geschichten immer schon fasziniert. Geschichten aus tausend und einer Nacht. Das Ludus Quartett, in dem neben dem Komponisten noch die Gitarristen Thomas Estermann, Stefan Kuen und Claudio Meneghelli spielen, ist nicht auf synchrones Spiel getrimmt oder auf Virtuositäten im herkömmlichen Sinn. Im Gegenteil: Sie spielen eigentlich meist eher asynchron und ihre Virtuosität ist eine andere, als diese schaustellerische Artistik, die das mitteleuropäische Publikum seit dem 19. Jahrhundert in Begeisterungsstürme versetzt. In „Point III“ spielt Mahmoud Turkmani Oud und seine Quartettkollegen Gitarren und in diesem Stück offenbaren sich die Gemeinsamkeiten und die Gegensätze der musikalischen Welten, die Turkmani erlebt hat. Da ringt europäische Ordnung mit orientalischer. Beide gehen auf jahrhundertealte Traditionen zurück und haben sich in der Geschichte gelegentlich überschnitten – und wenn, dann sind enorm fruchtbare Symbiosen entstanden bei denen eher die Europäer von den Arabern profitiert haben als umgekehrt. Die Musik von Mahmoud Turkmani wirkt auf mich eher schwermütig und weniger mediterran leicht und luftig … dabei ist der Libanon ein Mittelmeerland. Aber wir sollten zu verstehen versuchen, dass wir unterschiedliche musikalische Sprachen sprechen und Topoi in der jeweils anderen vielleicht falsch deuten. Diese CD jedenfalls sollte man unvoreingenommen hören und auf sich wirken lassen, dann hat man auch Chancen, die Geschichten zu verstehen, die erzählt werden. Mir haben sie jedenfalls gefallen!

2008-11-03

Ya Sharr Mout

Thomas Volkmann

Sinnliche Poesie

Wie oft ist sie nicht schon bemüht worden, die Phrase von der Begegnung des Orient mit dem Okzident. Und doch: auch für die Beschreibung dieses Projektes des im Libanon geborenen, schon seit Studienzeiten in der Schweiz lebenden Oud-Virtuosen Mahmoud Turkmani geht's nicht ohne. "Ya Sharr Mout" bedient jedoch nicht wie so oft bei derlei interkulturellen musikalischen Begegnungen die Schiene der "World Music", sondern verschränkt sich eher im Bereich von klassischer arabischer mit zeitgenössischer Neuer Musik. Nun ist die Musik in diesem ambitionierten Projekt aber nur die eine Seite der Medaille. Turkmani und seine arabischen Begleiter - darunter die Gedichte von Nadia Tueni (1935-1983) singende Nisreen Hmaidan, Violinist Khaled Oweida, Bassist Ahmad Osman - spielen und improvisieren zu Visuals des Schweizer Videokünstlers Michael Spahr. Dessen Bilder greifen Archivaufnahmen von vergangenen politischen Ereignissen im Libanon auf, spielen aber auch mit der Ästhetik arabischer Worte und Schriftbilder. Vom Ansatz her geht es darum, negativ belegte Ausdrücke wie "Haib" (Schande) oder "Ya Sharr Mout" (Hurensohn) in kaligrafisch verwandte Ausdrücke wie "Aib" (Auge) oder "Ya Sharr Maut" (O Übel, stirb!) zu verwandeln. Durch die digitale Verfremdung wird der Tanz der Buchstaben und Bilder zu einem Akt sinnlicher Poesie und die gegen politische, religiöse und musikalische Dogmen anspielende abstrakte und eher dramatisch-schwerfällige Musik durch die Verbindung mit dieser visuellen Ebene begreifbarer. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch Sabine Gisigers Dokumentarfilm über die Entstehung und Realisierung dieser audiovisuellen Performance und Begegnung gegensätzlicher Kulturen.

2008-11-01

Ya Sharr Mout

hma, blue rhythm 2008

Ein völlig neues und ungewohntes Klanggewand.

Es gibt nur wenig glaubhafte Vermittler zwischen den Religionen. Besser als jeder Papst eignen sich Musiker wie beispielsweise Mahmoud Turkmani für diesen Job, weil sie mitten im alltäglichen Leben stehen. Aufdewachsen im Libanon, studiert in Moskau und wohnhaft in der Schweiz hat sich der Oud-Spieler und Komponist Turkmani mit dem CD- und DVD-Opus " Ya Sharr Mout " daran gemacht, nicht nur zwei musikalische Systeme miteinander zu kombinieren, sondern auch mittels einer audiovisuellen Performance, die 2007 im Theater Al Madina in Beirut uraufgeführt wurde, arabische Tabuworte zu analysieren und optisch zu verwandeln und mit moderner arabischer Musik zu untermalen, um auf diese Weise Vorurteile4 und Missverständnisse zwischen verfeindeten Kulturen vielleicht ein bisschen aufzuweichen. Ein hochkomplexes Unterfangen, das auf der DVD in einem Dokumentarfilm sehr sensibel durch die Schweizer Filmemacherin Sabine Gisiger angegangen wurde. Die Audio-CD stellt dann noch einmal das Konzert in seiner vollen Länge vor. Turkmani und seine fünf Mitmusikern kleiden dort die ansonsten sehr starre klassische arabische Musik in ein völlig neues und ungewohntes Klanggewand und geben so der Poesie der libaneschien Dichterin Nadia Tuéni("Archiv der Gefühle über einen Krieg im Libanon")eine völlig neue Ausdruckskraft. Lohnendes Anschaungsmaterial zu einem brenneden Thema.

2008-10-11

Ya Sharr Mout

Guido Diesing,Jazzthetik 11.10.2008

Für alle, die den libanesischen Komponisten, Gitarren- und Oudspieler Mahmoud Turkmani noch nicht kennen, hat Enja das perfekte Kennenlern-Paket geschnürt. Ya Sharr Mout umfasst die Uraufführung des gleichnamigen audiovisuellen Projekts in Beirut 2007 als DVD und CD, sowie Sabine Gisigers Dokumentarfilm über die Arbeit an dem aufwendigen und ambitionierten Werk. In Ya Sharr Mout verbindet Turkmani seinen Versuch einer Erneuerung der klassischen arabischen Musik mit Filmcollagen des Schweizer Videokünstlers Michael Spahr. Animierte, tanzende Schriftzeichen überlagern sich mit Aufnahmen von Städten und Landschaften, unterbrochen von Interviews, die der Komponist mit Schriftstellern und Künstlern geführt hat. Ein vielschichtiges und manchmal sperriges Werk, dem man dank der Dokumentation trotzdem nahekommt.

2008-09-30

Ya Sharr Mout

Jahannes Anders 30.09.2008

Mahmoud Turkmani, einer der wichtigsten Erneurer der klassischen arabischen Musik

Ausgangspunkt der audiovisuellen Performance, die der in Bern lebende Komponist und Oud-Virtuose Mahmoud Turkmani mit dem Schweizer Videokünstler Michael Spahr kreiert hat, sind Gedichte der libanesischen Lyrikerin Nadia Tueni aus ihrem Band «Archiv der Gefühle über einen Krieg im Libanon». Zentral war dabei die Frage, wie Sprache in Musik und Film übersetzt werden kann. Vor dem Konzert ist als Vorpremiere der Film «Ya Sharr Mout» zu sehen, den die Zürcher Dokumentarfilmerin Sabine Gisiger über Mahmoud Turkmani gedreht hat. Mahmoud Turkmani, einer der wichtigsten Erneurer der klassischen arabischen Musik, beschäftigt sich mit Musik, seit er denken kann. Im Libanon der 1960er Jahre galt er als musikalisches Wunderkind. Als Schüler und Student engagierte er sich politisch und trat mit Solidaritätskonzerten an die Öffentlichkeit. Er schloss sich der kommunistischen Partei an, weil sie als einzige nicht religiös ausgerichtet war. Da ihm deshalb ein Musikstudium im Libanon verwehrt blieb, studierte er in Moskau. Damals fasste er den Entschluss: Er wollte nicht mehr nach den dogmatischen Vorgaben der klassischen arabischen Musik komponieren und spielen, sondern versuchen, die traditionelle Einstimmigkeit von Gesang und Instrumenten aufzubrechen. Die Neuerungen provozierten. Bei einem Musikkongress in Kairo beschimpfte man ihn als «Ya Sharr Mout», «Oh, du Hurensohn». Leicht anders ausgesprochen bedeuten die Worte: «Oh, Böses, stirb.» Für Turkmani wurden Wortspielereien dieser Art zu einem Schlüssel seiner Arbeit als Komponist und Musiker. Er begann zu komponieren, wie er mit Worten gespielt hatte. Für das Projekt «Ya Sharr Mout», das er mit einem VJ und einem sechsköpfigen Ensemble auf die Bühne bringt, hat er sich gemeinsam mit dem Berner Videokünstler und Performer Michael Spahr intensiv mit den poetischen Texten der Libanesin Nadia Tueni (1935-1983) auseinandergesetzt. Die multimediale Performance «Ya Sharr Moul» ist weder vertonter Film noch verfilmte Musik. Vielmehr sei es ein Versuch, das Wort zu verbildlichen, die Musik zu versprachlichen und beides zu verbinden, erläutert Turkmani: "Die Besonderheit eines Klanges lässt sich dadurch ausdrücken, dass ich ihn versprachliche, verräumliche, verbildliche, damit neu erfinde.» Die Zürcher Dokumentarfilmerin Sabine Gisiger («Gambit», «Do it», «Homeand») hat Mahmoud Turkmani bei der Arbeit am schweizerisch-libanesischen Projekt «Ya Sharr Mout» begleitet: Beim Komponieren, bei der Zusammenarbeit mit Michael Spahr, bei Recherchen vor Ort, bei Proben und Gesprächen und schliesslich bei der Uraufführung der Produktion in Beirut. Dabei ging es ihr nicht nur darum, die vielschichtige Persönlichkeit und abenteuerliche Geschichte des «fantastischen Musikers und grossartigen Geschichtenerzählers» zu dokumentieren, sondern sie wollte bewusst Zwischentöne zeigen in einem «allseits heraufbeschworenen Kulturkampf zwischen Orient und Okzident». So spiegelt ihr Film über Leben und Arbeit Mahmoud Turkmanis auch die tragische Geschichte Libanons. (Text: Programmheft Zürcher Theater Spektakel 2008) DVD: YA SHARR MOUT A film by Sabine Gisiger Kamera: Helena Vagnières, Reinhard Köcher & Andreas Hoessli Editor: Barbara Weber Assistant Editor: Pierre Enz Online Editor: Philippe Gallay Sound: Andreas Litmanowitsch Mixing/Mastering: Werner Grassmugg Translations: Nada Afra Producer: Karin Koch, Dschoint Ventschr Filmproduktion Production Manager: Claudia Eichholzer Commissioning Editor: Thomas Beck, Schweizer Fernsehen Movie, 70 Min., PAL 16:9, German, Arab and English with English, German, French & Arab subtitles. Extra: 59 Min., PAL 16:9, audio-visual performance "Ya Sharr Mout - Live in Beirut - 2007".

2008-09-27

Ya Sharr Mout

Herrenzimmer 27.09.2008

Mehr Verständnis zwischen Ost und West.

Der im Libanon geborene Komponist und Saitenvirtuose Mahmoud Turkmani besuchte vor einigen Jahren den Jahreskongress für klassische arabische Musik in Kairo. Als er sich dort für Veränderungen der konventionellen Formen arabischer Musik aussprach, wurde er als "Ya Sharr Mout" beschimpft. Turkmani fühlte sich durch die Feindseligkeit seiner Kollegen verletzt und Worte begannen in seinem Kopf zu rotieren: Aus "Ya Sharr Mout" ("Hurensohn") wurde "Ya Sharr, Mout!" ("O Übel, stirb!"). Die Idee, mit Wörtern zu experimentieren, besonders mit Wörtern, die die Tabus der arabischen Welt betreffen, begann ihn zu faszinieren. Bald tat er sich mit dem Schweizer Videokünstler Michael Spahr zusammen, der das Spiel mit den arabischen Wörtern in kalligrafische Bilder von berührender Schönheit übersetzte. Und die Idee eines Ensemblewerks war geboren: "Ich begann nach einem ähnlich verspielten System zu komponieren", sagt Turkmani. "Ich bereitete einige meiner alten Kompositionen neu auf, spielte die Melodien rückwärts oder veränderte die Reihenfolge der Noten." Mit klassischen arabischen Musikern, mit Texten der kritischen Poetin Nadia Tuéni (1935-1983) und mit Spahrs Videokunst als Live-Zutat machte Turkmani "Ya Sharr Mout" zu einem Multimedia-Ereignis, das sich gegen jede Form von ideologischer oder religiöser Engstirnigkeit richtet. Ein Jahr lang wurde Turkmani von der Filmemacherin Sabine Gisiger und ihrem Team begleitet, die die Entwicklung des audiovisuellen Projekts verfolgten. Gisigers Film erzählt die Geschichte dieser Musik – Komposition, Proben, Aufführung –, aber auch die Geschichte von Turkmanis Leben. Turkmani wuchs in zwei gegensätzlichen Kulturen auf. Seine gründliche Kenntnis zweier musikalischer Systeme ließ ihn Berührungspunkte erforschen, die über eine oberflächliche "Fusion" weit hinausgehen. Immer wieder fragte er sich: Kann man die modale Klangwelt der Maqamat und das westliche Tonsystem kombinieren? Wie können komplexe arabische Rhythmen ein Werk der Neuen Musik tragen, ohne in billigen Arabismen stecken zu bleiben? Regisseurin Gisiger sagt: "Der Film lädt das Publikum ein, genau hinzuhören und hinzusehen. Das scheint mir wichtig in einer Zeit, in der zwischen Orient und Okzident Hass und Unverständnis regieren." – "Ya Sharr Mout" (die Musik, die audiovisuelle Präsentation, der Film) ist eine Reise auf der Suche nach mehr Verständnis

2008-09-02

Ya Sharr Mout

Thomas Burkhalter 02.09.2008

Oh, Böses, stirb! Mahmoud Turkmani und die arabische Musikwissenschaft

Mahmoud Turkmani legt sein neuestes Werk vor: «Ya Sharr Mout», übersetzt «Du Hurensohn» oder «Oh, Böses, stirb!». Zur CD gibt es auch einen Dokumentarfilm. Er sei ein Verräter der arabischen Musik und Kultur, schrien die Musikologen am Internationalen Kongress für Arabische Musik in Kairo. Turkmani hatte mit einem ägyptischen Ensemble die arabische Kunstmusikform «Muwashahat» anders, neu spielen wollen. Noch in der Nacht polterten die Wissenschafter an seine Hoteltür. Mahmoud Turkmanis Antwort liegt jetzt vor – mit drei Jahren Verspätung: «Ya Sharr Mout» heisst sein neuestes Werk, auf Arabisch «Du Hurensohn» oder «Oh, Böses, stirb!», je nach Betonung: Eine CD, plus ein dazu gehöriger Dokumentarfilm. Im Film, gedreht von der Zürcher Filmemacherin Sabine Gisiger, sehen wir Turkmani gemeinsam mit dem Bümplizer Videokünstler Michael Spahr akustisch und visuell mit arabischen Worten spielen – die arabische Sprache basiert auf einem Wurzelsystem mit zumeist drei Wurzelkonsonanten; verdreht man einzelne Buchstaben, ergeben sich neue, oft sogar gegensätzliche Bedeutungen. Böses verwandelt sich so in Gutes, ein Verbot wird zum Genuss. Dieses Phänomen nutzt Turkmani in seinem neuesten Werk auch als musikalisches Motto: Er rezyklierte einige seiner alten Kompositionen, vertauschte Noten und horchte gespannt, was sich da ergeben möge. Die Uraufführung des Werkes fand mit einem Ensemble ägyptischer Musiker in Beirut statt – Kairo war zu heikel. Das Konzert lieferte das akustische und visuelle Material für die eben erschienene Audio-CD und den filmischen Mitschnitt (Enja/Musikvertrieb). Instrumente, Bilder und Stimmungen spielen miteinander – oft wie zufällig. Melodien kreuzen und trennen sich. Violine, Qanun, Kontrabass, Oud, Gitarre und Rahmentrommel wiegen sich einmal im kanonischen Zwiegespräch. Dann verflüchtigen sie sich in viele Richtungen, parallel zu den sich wandelnden arabischen Buchstaben, die auf einen Bildschirm projiziert sind. Sie finden sich wieder und steigen turbulent in die Höhe. Die Musik moduliert zwischen arabischen Skalen, leichten Harmonien und Dissonanzen. Turkmani tritt dann und wann auf Oud und Gitarre solistisch hervor. Geräusche aus Beirut werden dazwischen geblendet, und der Schriftsteller Elias Khoury und andere libanesische Künstler sprechen von Tabus und vom Niedergang der arabischen Welt. Turkmani taucht vielseitiger denn je durch sein musikalisches Universum – und durch sein Leben, wie der Dokumentarfilm eindrücklich zeigt. Turkmani hat im Bürgerkrieg gekämpft, sich mit seinem Vater zerstritten, in Moskau studiert, und schliesslich ist er in der Schweiz gelandet. In seiner audiovisuellen Performance spielt all dies mit; seine Wut, Traumata, Schuldgefühle und Nostalgien treten abstrakt, in audiovisuellen Assoziationen voller Dissonanzen und Unschärfen neu hervor. Ein sanfter Wind voller Sehnsucht schwebt über allem – scheint es. «Die Schönheit ist gestorben in diesem Land», singt Nisreen Hmaidan und rezitiert einen Text von Nadia Tuéni. Die Antwort an die Musikwissenschafter aus der arabischen Welt klingt sehr persönlich, oft sanft und zerbrechlich, irgendwie traurig, und äusserst reif. Stille Wasser sind bekanntlich tief.

2008-08-20

Ya Sharr Mout

Neue Zürcher Zeitung 20.08.2008

Wichtige muslimische Stimme

Wichtige muslimische Stimme «Ya Sharr Mout» hat der libanesische Komponist und Gitarrenvirtuose Mahmoud Turkmani sein experimentelles west-östliches Musikprojekt genannt: «O Böses, stirb». Bei anderer Betonung der Silben kann der Titel aber auch schlicht und plump «Hurensohn» bedeuten. Das Wechselspiel zwischen Pathos und Profanem, aber auch zwischen Schönem und Hässlichem, Gutem und Derbem ist programmatisch für dieses visuell-akustische Gesamtkunstwerk, mit dem der in der Schweiz lebende Muslim ein fast überraschend deutliches politisches Statement zu seinen eigenen kulturellen Traditionen intoniert. Denn Turkmani kämpft mit seinen Instrumenten lustvoll, verspielt und sehr virtuos gegen die Erstarrung an, die der radikale Islamismus seiner Meinung nach im arabischen Kulturleben bewirkt. Seit er auf einem Musikerkongress in Kairo einmal um ein Haar verhaftet worden wäre, weil er konstatiert hatte, dass die arabische Musik im 13. Jahrhundert stehengeblieben sei, setzt sich Turkmani für Offenheit im Denken und einen selbstkritischen Blick ein, was im arabischen Raum nicht sehr verbreitet (und beliebt) sei. So ist es denn kein Zufall, dass der Musiker wie auf einer Klaviatur mit Transformationen aller Arten spielt, um das Eingefrorene wieder ins Fliessen zu bringen: Bilder mutieren da in Turkmanis Klangperformance zu nur fern arabisch angehauchten Tönen, Töne zu Wörtern – und Wörter, ganz buchstäblich verstanden als einzelne kalligrafische Zeichen, verwandeln sich ineinander, bis zur Explosion des Sinnes. Die Schweizer Dokumentarfilmerin Sabine Gisiger hat Turkmani und den Berner Videokünstler Michael Spahr beim Aufbau des experimentellen Projekts «Ya Sharr Mout» bis zur Premiere in Beirut begleitet; dazwischen erzählt der im Norden von Libanon aufgewachsene Musiker immer wieder eindrücklich aus seinem abenteuerlichen Leben – vom Bürgerkrieg, von seiner Zeit als Kommunist, seinem Musikstudium in Moskau und davon, wie er schliesslich im bernischen Oberscherli landet, «weil die Liebe zu meiner späteren Frau stärker» als alles andere war. Auf dem Bonustrack der DVD ist das gesamte Konzert in Beirut festgehalten, das man sich auch auf der beigelegten CD ohne Bilder zu Ohren führen kann. 20. September 2008, Neue Zürcher Zeitung

2008-07-03

Ya Sharr Mout

Klaus D. Halama

Blue Rhythm

"Es gibt nur wenige glaubhafte Vermittler zwischen den Religionen. Besser als jeder Papst eignen sich Musiker wie beispielsweise Mahmoud Turkmani für diesen Job, weil sie mitten im alltäglichen Leben stehen. Aufgewachsen im Libanon, studiert in Moskau und wohnhaft in der Schweiz hat sich der Oud-Spieler und Komponist Turkmani mit dem CD- und DVD-Opus "Ya Sharr Mout" daran gemacht, nicht nur zwei musikalische Systeme miteinander zu kombinieren, sondern auch mittels einer audiovisuellen Per formance, die 2007 im Theater Al Madina in Beirut uraufgeführt wurde, arabische Tabu worte zu analysieren und optisch zu verwandeln und mit moderner arabischer Musik zu untermalen, um auf diese Weise Vorurteile und Missverständnisse zwischen verfeindeten Kulturen vielleicht ein bisschen aufzuweichen. Ein hochkomplexes Unterfangen, das auf der DVD in einem Dokumentarfilm sehr sensibel durch die Schweizer Filmemacherin Sabine Gisiger angegangen wurde. Die Audio-CD stellt dann noch einmal das Konzert in seiner vollen Länge vor. Turkmani und seine fünf Mitmusiker kleiden dort die ansonsten sehr starre klassische arabische Musik in ein völlig neues und ungewohntes Klanggewand und geben so der Poesie der libanesischen Dichterin Nadia Tuéni ("Archiv der Gefühle über einen Krieg im Libanon") eine völlig neue Ausdruckskraft. Lohnendes Anschauungsmaterial zu einem brennenden Thema."

2006-02-28

Fayka

rolf jenni Aargauer Zeitung 28.02.2006

fantasievoll Mahmoud Turkmani führte sein Trio auf der Oud an. Das Ensemble bot in Aarau ein originelles Potpourri an orientalischen, jazzigen und avantgardistischen Klängen.

Zur Eröffnung des Festivals am Freitag mischte sich Orientalisches mit Jazzigem und avantgardistisch Geräuschhaftem. Das braucht, um zu wirken, enorm gute Musiker: Mahmoud Turkmani führte sein Ensemble auf der Oud und der Gitarre an, dazu kamen der innovative Kontrabassist und Komponist Barry Guy und der arabische Trommler Keyvan Chemirani. Sie entpuppten sich als ein Trio der Sonderklasse, das mit rhythmischer Flexibilität und fantasievollen Arrangements und Improvisationen ein originelles Potpourri präsentierte

2004-08-07

Zâkira / Lust an der Provokation

JAZZTHETIK / Rolf Thomas

Für den unvorbereiteten westlichen Hörer klingt mahmoud Turkmanis neue CD Zâkira einfach fremd und exotisch, dabei aber stets einladend und sinnlich

Doch dahinter verbirgt sich eine mit List und Tücke komponierte Musik, die arabische Traditionen zwar aufgreift, aber raffiniert verfremdet — was in der arabischen Welt durchaus für Entsetzen sorgte. Mahmoud Turkmani, der vor vierzig Jahren im Libanon geboren wurde, hat in Moskau fünf Jahre lang klassische Gitarre und Komposition studiert, bevor er sich in den neunziger Jahren in der Schweiz niederließ. Seitdem tummelt er sich an der Schnittstelle zwischen Jazz und zeitgenössischer Musik, hat mit den Berner Sinfonikern, mit dem Erato Streichquartett, aber auch mit Barry Guy zusammengearbeitet und hat seit einigen Jahren sein Interesse an der Oud, der arabischen Lause, und ihren technischen Möglichkeiten wiederentdeckt. Mit diesem Instrument — und natürlich an der Gitarre — ist er such auf Zâkira zu hören. Die restlichen neun Musiker stammen aus Ägypten, denn in Kairo wurde die Platte aufgenommen. Ich habe die Werke absichtlich nicht für westliche Instrumente komponiert, stellt Turkmani klar. Traditionelle arabische Musiker sollen nicht denken, es handle sich um westliche Musik und es bestehe kein Grund, sich mit den Werken auseinanderzusetzen.« Denn orientalisch angehauchte Musik westlicher zeitgenössischer Komponisten betrachten arabische Musiker gerne mit arroganter Herablassung. Ihre eigene klassisch-arabische.Musik dagegen möchten sie möglichst nicht angetastet sehen. Da herrscht schon so eine Haltung vor, was der Westen macht, braucht uns nicht zu interessieren , meint Turkmani. Ich verspüre da schon etwas Lust zur Provokation. Doch um das Provokante an Turkmanis Musik zu verdeutlichen, muss man schon etwas ausholen; «In der klassisch-arabischen Musik herrscht Homophonie, also Einstimmigkeit vor«, erläutert Turkmani. «Es entstanden aber trotzdem heterophone Stimmen, weil früher nicht nach Noten gespielt wurde, die einzelnen Instrumente also von Zeit zu Zeit schlicht unsauber klangen, und weil die Musiker vor allem nach Lust und Laune Verzierungen angebracht haben. Diese Abweichungen sind aus der Musik aber nach und nach verschwunden, ganz einfach, weil die Musiker immer exakter geworden sind. Im 20. Jahrhundert setzen sich auch immer größere Ensembles durch, die natürlich auf ein möglichst exaktes Spiel angewiesen waren. Aber eigentlich machen die Abweichungen die Musik aus, sonst klingt sie — wie heutzutage leider häufig — nach einem schlechten Synthesizer.So betätigt sich Mahmoud Turkmani eigentlich als Traditionalist, wenn er versucht, in seiner Musik die ursprüngliche Heterophonie wiederherzustellen. Mit dem großen Unterschied aber, dass er die früher spontan entstandenen Verzierungen diesmal vorgibt, also komponiert. Bei mir spielen die zehn Instrumente auch zehn Abweichungen«, erklärt Turkmani, «das ergibt eine völlig neue Klangwelt.« Denn einfach nur eine alte Tradition wiederherzustellen war nicht Turkmanis Anliegen. «Bei so einem Vorhaben würde ja auch mein Beitrag als Komponist fehlen, meint Turkmani. «Ich würde es lieber auskomponierte Interpretation einer alten Tradition nennen.« Die Basis für Turkmanis Kompositionen ist der Mouwasha, eine Form von vertonten Gedichten, die in der klassischen arabischen Musik sehr populär ist. Im traditionellen Mouwasha treten zur Singstimme — bei Turkmani die junge Sängerin Rehab Metawee — Instrumente wie die Oud, die Kastenzither Qanoun, das Streichinstrument Kamantsche, die Flöte Ney sowie diverse Trommeln. Diese klassische Besetzung hat Mahmoud Turkmani noch um eine zweite Oud sowie Cello und Kontrabass erweitert. Diese traditionelle Bezeichnung seiner Musik bei gleichzeitig völliger Andersartigkeit hat bei den ägyptischen Musikern, die sie spielen sollten, für heftige Irritationen gesorgt. «Die Hälfte wollte aussteigen«, erinnert Turkmani sich, und ich musste wirklich viel Uberredungskunst benutzen, um sie bei der Stange zu halten.« Dabei hatte Turkmani in seinem Ensemble sowohl traditionelle arabische Musiker als auch solche, die normalerweise westliche Musik spielen. «Aber das heißt in Ägypten nicht viel, winkt Mahmoud Turkmani ab. Westliche Musik hört für die Musiker dort bei Schostakowitsch auf. Alles, was danach kommt, ist von Übel. Einmal haben wir zwölf Stunden lang geprobt. Sie fanden meine Musik falsch. Mit ihrer jeweiligen Einzelstimme konnten sie sich schnell anfreunden, die klang auch recht einfach, aber wenn dann alle zusammen spielen sollten, gab es Schwierigkeiten. Da waren dann Tonhöhen in meiner Musik verschoben, oder der Rhythmus war um eine Achtel oder Sechzehntel versetzt — das waren alles Vorgaben, mit denen sie sich schlecht anfreunden konnten. Doch dass da jemand versucht, eine musikalische Tradition in einem neuen Licht zu sehen, muss den Musikern imponiert haben. Mit viel Engagement wollen sie Turkmanis Welt erfassen und stehen ihm auch für Konzerte in Ägypten, Marokko und dem Libanon zur Verfügung. «Nach dem ersten Konzert gab’s im Publikum heftige Diskussionen«, erzählt Mahmoud Turkmani, Das ging bis zu üblen Beschimpfungen, aber die Leute kamen wieder. Das fand ich schon erstaunlich — und es zeigt vor allen Dingen den Willen zur Auseinandersetzung. Von europäischen Musikern fühlen die Araber sich nicht provoziert, aber sobald man so wie ich mit traditionellen Instrumenten und mit Gesang in der arabischen Hochsprache arbeitet, ist das anders. Doch die Mühsal der vielen Proben und Konzerte hat sich gelohnt, denn als die zehn Musiker schließlich ins Studio gehen, erschaffen sie eine Musik, die schon durch ihre schiere Wucht überzeugt. »Im Orient ist die Melodie das A und 0 in der Musik«, erläutert Turkmani, alles andere ist unwichtig. Deshalb ist meine Musik für die Ägypter ein Schock. Sie klingt traditionell, ist aber anders, wegen der Schattierungen, die neu klingen. Diese Schattierungen, wie Turkmani sie nennt, umspielen die ursprüngliche Melodie, die er unberührt lässt, wie Nebenlinien. Einzelne Figuren werden auch kontrapunktisch bearbeitet, indem sie zum Beispiel rückwärts gespielt werden. Dieses Nebeneinander von bis zu zehn verschiedenen, aber immer auf die Hauptmelodie bezogenen Stimmen sorgt für ein dichtes Geflecht, das oft harmonisch klingt, manchmal aber auch schrill und dissonant. Natürlich möchte ich, dass man meiner Musik zuhört«, gibt Turkmani einerseits zu. Auf der anderen Seite muss ich such meinem eigenen Weg folgen, und dabei kann meine Musik nicht jedem gefallen. Das muss sie auch gar nicht, manchmal macht es mir sogar Spaß auf Widerstand zu stoßen. Orientalische Musik ruft beim westlichen Hörer sofort Assoziationen von Esoterik und Bauchtanz hervor. Wie bei allen Klischees ist da auch etwas dran, aber eben nicht nur — und das versuche ich mit meiner Musik zu zeigen.

2004-07-04

Zâkira

uste

Dies ist eine fremde Musik aus einem Reich dazwischen.

Dies ist fremde Musik aus einem Reich dazwischen. Arabisch im Kern, europäisch in den Zutaten. Eine Sängerin und neun Instrumentalisten, versammelt um die traditionelle Form vertonter Liebesgedichten die eine einstimmige ist. Gitarrist und Oud-Spieler Turkmani, in Moskau studierter Komponist aus dem Libanon jetzt in der Schweiz ansässig, baute um die jeweilige Hauptlinie wie Schattenarabesken Stimme für Stimme. Fern von Bauchtanz-klischees entsteht so sinnliche Kunstmusik auf 0riginalinstrumente wie Ney, Kastenzither und diversen Trommeln.

2004-07-04

Zâkira \ Fono Forum

Fono Forum \ Stephan Richter

Packend

Sicher neigt man dazu, den libanesischen Oud-Spieler, Gitarristen und Komponisten Mahmoud Turkmani mit seinem Label-Kollegen Rabih Abou-Khalil vergleichen zu wollen. Aber das wäre ein Fehler. Während Abou-Khalil mit der arabischen Musik, ihrem komplexen Netz einstimmiger Linien, die in vertrackten Rhythmen einander ergänzen, arbeitet und sie mit großem Erfolg in einen Jazz-Kontext setzt, geht Turkmani einen ganz anderen Veg: Für „Zakira“ schrieb er einem ägyptischen Ensemble und einer Sängerin Werke auf den Leib, die von arabischer Tradition ausgehen, in der Verarbeitung aber europäische Kompositionsmethoden nützen. Ausgangsmaterial ist für Turkmani die Muwashah, eine Form vertonter Gedichte aus der klassischen arabischen Musik. Für seine Verarbeitung der Lieder hat der Libanese das traditionelle arabische Ensemble um eine zusätzliche Ond, Cello und Kontra- bass erweitert. Er verwendet zwar das überlieferte melodische und rhythmische Material, nützt aber ebenso die Erfahrungen, die er in europäischer Musik gesammelt hat: Er lässt Heterophonien zu, die in der Tradition unüblich sind, die Musik aber für europäische Hörer weit interessanter und vielschichtiger machen. Das Ergebnis ist nicht etwa Klassik mit Ethno-Anklängen, sondern eine vielschichtige, sehr persönliche Musik, die keine modischen Fusionsprozesse initiiert, sondern in ihrem eigenen kulturellen Rahmen faszinierende, packende Wege geht.

2004-06-04

Zâkira

JAZZTHETIK / Rolf Thomas

Es ist eine fremde und seltsame Welt.

Es ist eine fremde und seltsame Welt, in die uns der libanesische Komponist Mahmoud Turkmani, der seit Jahren in der Schweiz lebt, hier entführt. Nachdem er nämlich vor einigen Jahren die Oud, die arabische Laute, wieder für sich entdeckt hat, hat er beschlossen, für sein Album Zäkira wieder ganz tief in die arabische Tradition einzusteigen. Er hat hauptsächlich Muwashas komponiert, das sind musikalische Liebesdichtungen, die in der klassischen arabischen Musik sehr populär sind. Das traditionelle Instrumentarium wie Oud, Kastenzither, Flöte und Trommeln hat er dabei noch um Cello und Kontrabass erweitert. Und natürlich wollte er diese Musik dann auch nicht mit westlichen Musikern einspielen — in Ägypten hat er die Musiker gefunden, die mit ihm gemeinsam dieses Wagnis eingehen wollten. «Traditionelle arabische Musiker sollen nicht denken, es handle sich um westliche Musik und es bestehe kein Grund, sich mit den Werken auseinanderzusetzen,« schiidertTurkmani seine Beweggründe. Wie provozierend Turkmanis Musik für arabische Ohren klingt, kann hier nicht erörtert werden - wenn Flöte und Kontrabass sich im fünften Stück heftig aneinander reiben, bekommt man vielleicht eine Ahnung davon. Wieviel Kraft in dieserfürwestliche Ohren oftmals monoton klingenden Musik steckt, ist offen sichtlich: Rasch wird man in Turkmanis Welt hineingezogen, die sich zwar mit arabischen Traditionen beschäftigt, ihnen aber eine eigene Variante abgewinnen will — au, kraftsol, emotional. Eine vielversprechende Baustelle, die Tankmani hier eröffnet hat und ein erneuter Beweis dafür, dass auch innerhalb stark fornialisierter Musikkulturen individuelle Ausprägungen möglich sind.

2004-05-12

Zâkira

SF DRS B. Magazin

Mahmoud Turkmani - wagemutige Kompositionen zwischen Orient und Okzident

Gegen die Strenge der arabischen Klassik setzt der libanesische Komponist, Gitarrist und Oud-Virtuose Mahmoud Turkmani wagemutige Kompositionen. Seine eigenwillige Musiksprache irritiert und verwundert gleichermassen. Seit einigen Jahren lebt Turkmani in der Schweiz. Eine musikalische Begegnung zwischen Orient und Okzident.

2004-04-04

Zâkira

Blue Rhytm

Ein Beweis dafür, dass auch innerhalb stark formalisierter Musikakulturen individuelle Ausprägungen möglich sind.

"Diese modale Musik, die sich traditionell ganz dem Gesang und den Gedichten unterordnet, erweitert Turkmani innovativ mit den kompositorischen Möglichkeiten und Ausdrucksformen der westlichen Neuen Musik und findet so zu einer originellen und überraschenden, eigenständigen und neuartigen Klangsprache, die für das westliche Publikum ebenso ungewöhnlich klingt wie für die arabischen Zuhörer." R. Thomas in Jazzthetik 6 / 04: "Wieviel Kraft in dieser für westliche Ohren oftmals monoton klingenden Musik steckt, ist offensichtlich: Rasch wird man in Turkmanis Welt hineingezogen, die sich zwar mit arabischen Traditionen beschäftigt, ihnen aber eine eigene Variante abgewinnen will - rau, kraftvoll, emotional. Eine vielversprechende Baustelle, die Turkmani hier eröffnet hat und ein erneuter Beweis dafür, dass auch innerhalb stark formalisierter Musikakulturen individuelle Ausprägungen möglich sind." Blue Rhytm

2004-03-17

New CD - Zâkira

Kjell Keller

Working on the Musical Memory

1964 in Halba geboren, verliess Turkmani den Libanon während dem Bürgerkrieg und absolvierte von 1984-1989 in Moskau ein Musikstudium (klassische Gitarre, Komposition). Später übersiedelte er in die Schweiz, wo er sich zunächst vorab als Musiklehrer betätigte. Nach einer längeren Unterbrechung begann er Mitte der 90-er Jahre neu zu komponieren. Innerhalb von kurzer Zeit entstand eine stilistisch vielschichtige Kammermusik. Dabei erwachte wieder das Interesse an der arabischen Laute Oud. Als Komponist und Interpret bereiste er in den vergangenen Jahren diverse europäische und arabische Länder. Er spielte u.a. mit dem Blockflötisten Conrad Steinmann und dessen Ensemble diferencias, mit dem Berner Symphonie Orchester, mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja und dem Pianisten Ivan Sokolov, mit dem Erato Steichquartett, mit dem Kontrabassisten Barry Guy und dem Perkussionisten Keyvan Chemirani. Kairo, Oktober 2003: Im Hotel, das den Namen der legendären Sängerin Um Kulthum trägt, studiert Mahmoud Turkmani mit einer jungen Sängerin und 8 ägyptischen Instrumentalisten bis tief in die Nacht seine neuen Werke ein, Muwashah-Vertonungen. Bei den MusikerInnen herrscht Ratlosigkeit, Verunsicherung. Einige von ihnen sind vorwiegend in der europäischen Musik zuhause, andere stärker in der arabischen. Doch für alle ist die Turkmani-Musik, die sie spielen sollen, fremdartig, auch wenn sie Vertrautes antönen lässt. Wenige Tage später finden in Kairo und Alexandria erste Aufführungen statt. Sängerin und Instrumentalisten engagieren sich hör- und spürbar für Turkmanis Stücke. Offenbar haben sie die Qualität der Musik erkannt, auch wenn das Ganze für sie nach wie vor ungewohnt klingt. Die Reaktionen des Publikums sind mehrheitlich positiv. Vielen wird klar, dass sich der libanesisch-schweizerische Komponist fantasievoll mit dem arabischen Erbe, speziell mit dem Muwashah auseinandersetzt und neue Wege für die arabische Kunstmusik sucht. Der Muwashah ist eine Form von vertonten Gedichten, die in der klassisch-arabischen Musik populär ist. Eine Musik auf Gedichte, die immer wieder, in unzähligen Varianten, von der Liebe handeln. Eine Musik mit viel Emotionalität. Turkmani präsentierte schon auf seiner enja-CD ‚Fayka‘ einen Muwashah, in einer rein instrumentalen, eigenwilligen Version für Gitarre und Perkussion (mit dem phänomenalen Keyvan Chemirani). Mit seinen neuen Muwashahat intensiviert Turkmani seine Beschäftigung mit arabischen Traditionen. “Meine Musik ist eine provozierende Annäherung an die klassisch-arabische Musiktradition des Muwashah und eine kompositorische Annäherung an die Erfahrung der Fremdheit im gesellschaftlichen und musikalischen Kontext. Ich habe die Werke absichtlich nicht für westliche Instrumente komponiert. Traditionalistische arabische Musiker sollen nicht denken, es handle sich um westliche Musik und es bestehe kein Grund, sich mit den Werken auseinanderzusetzen. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, eine neue klangliche Welt aus den traditionellen arabischen Instrumenten herauszuholen.“ Unzählige Muwashahat sind überliefert. Komponisten und Dichter sind oftmals anonym, aber es gibt auch Vertonungen, die mit grossen Namen wie Sayyid Darwisch oder Muhammad Utman verbunden sind. Turkmanis Vorlagen (Melodien und Texte) sind zum Teil ‚qadîm‘, von alters her überliefert, zum Teil sind die Autoren bekannt. Eine Referenz erweist er den durch ihre Zusammenarbeit mit Fayrûz berühmten Rahbany-Brüdern aus Libanon, indem er eine ihrer Melodien einsetzt. Im traditionellen Muwashah treten zur Singstimme arabische Instrumente wie Oud, die Kastenzither Qanûn, das Streichinstrument Kamantsche, die Flöte Ney sowie diverse Trommeln (Riqq, Mazhar, Darabukka). Turkmani hat die Besetzung leicht erweitert, mit einem zweiten Oud sowie Cello und Kontrabass. Im Rhythmischen und Melodischen stützt sich Turkmani ganz auf die arabische Tradition. Gelegentlich finden sich Modi (Maqâmât) mit Dreivierteltöne. „Man hört etwas, was man immer schon gehört hat, so als hörte man es zum ersten Mal. Das sind Begegnungen mit dem Schatten des Klangs und der Stille. Ich versuche von meinen Freiheiten in den unendlichen, noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten der Homophonie und Heterophonie Gebrauch zu machen. Indem ich die Hauptlinie (Melodie) so lasse, wie sie ursprünglich klang und danach eine zweite, dritte, vierte etc. Linie hinzufüge. Diese neuen Linien sind quasi Schatten der Hauptlinie.“ Die klassisch-arabische Musik ist eine modale Musik; Gesang und Gedicht stehen im Zentrum. Charakteristisch für ihre Interpretation ist oftmals die Heterophonie, das heisst: grundsätzlich ist die Musik einstimmig, aber die Melodie wird durch die Instrumente reich umspielt und eingefärbt. Als in der arabischen Musik des 20. Jahrhunderts immer grössere Ensembles modisch wurden, ist dieses Element zurückgedrängt worden. Turkmani setzt aber just bei der Heterophonie an, baut sie aus. Eine radikalisierte Heterophonie, in welcher die Umspielungen – auch kontrapunktischer Art – an Bedeutung gewinnen. Oft münden sie in dichte Klangfelder, die auch vor harten Reibungen nicht Halt machen. Das schliesst nicht aus, dass Turkmani gelegentlich ultraschnelle Passagen im Unisono erklingen lässt. Ein Werk beginnt Turkmani mit einem Samâ’i. Das ist ein Instrumentalstück (im 10/8-Takt), das auf türkische Vorbilder zurückgeht. Wird ein Samâ‘i strikt unisono gespielt; wirkt das – zumal für westliche Ohren – rasch etwas eintönig. Auch hier lotet Turkmani die Möglichkeiten einer radikalen Heterophonie aus. In der klassisch-arabischen Musik hat die Improvisation einen hohen Stellenwert. Bei Turkmani ist das meiste auskomponiert. An ausgewählter Stelle lässt er die Improvisation zu, doch zeigt er sich kritisch gegenüber Improvisationsformen, die nur Klischees aufwärmen oder endlos ausufern. „Ich suche nach einer eigenen musikalischen Sprache innerhalb der verschiedenen Musikkulturen, die in mir sind. Ideen, Gedanken und Fragen zu möglichen Entwicklungen der Musik und kompositorischen Konzepten tauchen in meinem Kopf auf. Ich stelle diese Fragen gleichzeitig mir selber und den Zuhörenden, in der Hoffnung, ein musikalisches Denken und eine musikalische Sprache zu finden, die original, genuin und innovativ sind.“ Die Muwashahat-Vertonungen zeigen eine Variante von Turkmanis aktuellem Komponieren. Seine Kreativität, seine Offenheit, seine Virtuosität und seine multikulturelle Herkunft führen ihn gleichzeitig zu andern kompositorischen Konzepten, in denen das arabische Erbe in einer neuen musikalischen Sprache aufgehoben ist. Kommentar: Kjell Keller / Mahmoud Turkmani

2004-02-24

Zâkira

Thomas Burkhalter

Neue arabische Musikwelten

Der in Bern lebende libanesische Komponist, Oud-Spieler und Gitarrist Mahmoud Turkmani stellt auf seiner dritten CD „Zâkira“ (ENJA) Muwashah-Gedichte vor, die in der klassisch-arabischen Musik oft vertont werden. Das für diese Musik traditionelle Tahkt-Ensemble (Singstimme, Oud, Qanun, Kamantsche, Ney, Perkussion) erweitert er um eine zweite Oud, ein Cello und einen Kontrabass. Seine Kompositionen folgen in Melodik und Rhythmik weitgehend den Gesangslinien der Sängerin. Turkmani flicht jedoch zusätzliche Stimmen ein. Diese schiessen vielfältig auseinander, scheinen sich zu verselbstständigen, reiben mal dissonant aneinander oder finden sich kurz zu Harmonien voller strahlender Kraft, um sich letztlich wieder in der Hauptstimme aufzulösen. Obwohl äusserst behutsam komponiert, wirkt diese Musik besonders für arabische Ohren ziemlich radikal: Am wichtigsten Kongress der Arabischen Musikliga in Kairo, an dem Turkmani mit seinem ägyptischen Ensemble letzten Winter teilnahm, wurde er teilweise heftig als Nestbeschmutzer kritisiert – an einer Neuformulierung der klassisch arabischen Musik schienen die Musikexperten nicht interessiert. Auch Turkmanis Mitmusiker taten sich zunächst einmal schwer mit der neuen Musik: Die komponierten Melodielinien waren mit den konventionellen Spieltechniken, etwa auf dem arabischen „Hackbrett“ Qanun, kaum zu spielen. Mit jedem Probedurchgang sei die Wertschätzung für seine Musik jedoch gestiegen, erzählt Turkmani, der seine Werke absichtlich nicht für westliche Instrumente komponiert hat: „Traditionalistische arabische Musiker sollen nicht denken, es handle sich um westliche Musik und es bestehe kein Grund, sich mit den Werken auseinanderzusetzen. Meine Musik ist eine provozierende Annäherung an die klassisch-arabische Musiktradition des Muwashah und eine kompositorische Annäherung an die Erfahrung der Fremdheit im gesellschaftlichen und musikalischen Kontext. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, eine neue klangliche Welt aus den traditionellen arabischen Instrumenten herauszuholen.“ Dies ist ihm eindrücklich gelungen.

2002-06-16

Skug - Reviews

Noél Akchoté, 2002-06-16

Mahmoud Turkmani - Fayka

»It's raining Ouds!« Ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Von Jazz bis Electro geht seit drei Jahren nichts mehr ohne Oriental-Bezüge. Turkmani spielt hier jedoch in erster Linie klassische Gitarre und präsentiert seine eigene Musik. Wenn der libanesische Komponist dabei überhaupt auf die arabische Tradition zurückgreift, dann setzt er noch am ehesten lange Zeitintervalle und nicht Tonarten oder Sounds ein. Die Aufnahme umfasst zwei Duos (mit dem Kontrabassisten Barry Guy und dem Perkussionisten Keyvan Chemirani) und mehrere Solos. Diese Musik verlangt Zeit und Aufmerksamkeit von den ZuhörerInnen. Sie erschließt sich nicht von den ersten Tönen an, und das respektiere ich. Sie ist auch sehr schwer einzuordnen: nicht komponiert oder improvisiert, eher »gespielt«. Ein wunderbares und subtiles Album.

2002-05-05

Fono Forum, 2002-05

Dr.Stephan.Richter.

Bescheiden schillernd

Ganz bescheiden kommt diese CD des libanesen Mahmoud Turkmani daher. Je ein Solo auf seinen Instrumenten Gitarre und Oud, dazu je drei Duos mit sehr unterschiedlichen Partnern: dem Perser Keyvan Chemirani, der hier zwei verschiedene Trommeln einsetzt, und dem britischen Kontrabassisten Barry Guy, bekannt geworden im Free Jazz, aber auch als Klassiker aktiv. Turkmanis Kompositionen versuchen die Klangwelt seiner Heimat in die Ton- und Formsprache Europas zu übertragen. Dabei begeht er, zumal in den Duos, nie den Fehler, Formen schliessen zu wollen. So entwickelt sich aus fruchtbaren Dialogen eine faszinierende, subtil zwischen der Klassik Europas und des Orients schillernde Musik.

2002-05-05

Stereoplay, 2002-05-05

Sven Thielmann

Mahmoud Turkmani, Fayka

Mit Mahmoud Turkmani tritt wieder ein Oud-Virtuose auf die Jazzbühne. Dabei steht der Libanese musikalisch dem Tunesier Anouar Brahem deutlich näher als seinem Label- Kollegen und Landsmann Rabih Abou-Khalil. In klangfarbenreichen Stücken verknüpft der in der Schweiz lebende Turkmani arabische Skalen und Rhythmen mit westlicher, nicht allein jazziger Improvisationskunst. Shukran Paco De Lucia" mit dem persischen Perkussionisten Keyvan Chemirani versprüht Flamenco-Feuer. Freier gerieten die Duos mit dem britischen Bassisten Barry Guy. Eine Musik von strenger Schönheit.

2002-04-05

Fayka

Grünefeld, 2002-04-05

Mahmoud Turkmani, Fayka

Ob nun Orient oder Okzident, Maqam oder Polyphonie: für Mahmoud Turkmani sind das keine Bekenntnisfragen. Der Gitarrist und Oud-Spieler aus dem Libanon verfügt über beide Systeme und äusserst kultivierte Zupftechniken. In der Schweiz hat er klassische Gitarre studiert, die europäische Moderne und den Jazz kennengelernt. Über ein arabisches Traditonal improvisiert er im Passgang mit dem persischen Perkussionisten Keyvan Chemirani, der unglaublich virtuos und einfühlsam feinste Klangnuancen aus seinen Trommeln lockt. Reibungsloses Einverständnis bestimmt dieses Duo, und der britische Freebassist Barry Guy tastet auf seine Art mit Mahmoud Turkmani die Grenzen von Jazz und Neuer Musik ab. "Fayka" ist ein Album mit sehr disziplinierter Musik, lyrisch und frei, swingend und mit scharfkantigen Akkorden. Man merkt: Mahmoud Turkmani ist von seiner Musik erfüllt.

2002-04-02

Jazz 'N' More

Johannes Anders, 2002-04-02

Mahmoud Turkmani - Fayka

Ein hochtalentierter, libanesischer Musiker und Oud-Spieler verlässt sein Land, um in Moskau zu studieren. Das dortige Lehrsystem ist jedoch total auf klassische Musik fixiert und lässt keine anderen Orientierungen zu. Seine auf Gitarre und Kom­position konzentrierten Studien setzt er dann in der Schweiz fort. Aber ein innerer Zwiespalt lähmt ihn: Hier die nach wie vor tiefe Verwurzelung in der ara­bischen Musiktradition, da die starke Prägung durch die europäische Musikkultur. Was tun? Nach einer Zeit der totalen Verunsicherung erhält er viel Zuspruch durch seinen damaligen Gitarren-Lehrer Ste­phan Schmidt (heute Direktor der Musikhochschule Basel), einen eigenen Weg zwischen diesen Musikwelten zu suchen. Erstes bereits überzeugendes Ergebnis war die vor zwei Jahren erschienene enja-CD "nuqta" (vergl. J'N'M Nr.2/2000). Die vorliegende, zweite enja-Edition ist ein weiterer, wichtiger und gelunge­ner Schritt, seinem kompositorischen wie instru­mentalen Können auf Oud und Gitarre - er ist inzwi­schen auch auf der Gitarre ein Meister! - eine ganz eigene Prägung zu geben,und das. ohne seine ara­bischen Musikwurzeln zu verleugnen. Zeitweilig mit dabei übrigens der englische Jazz-Bassist Barry Guy und der eben- falls prominente persische Perkussionist Keyvan Chemirani.

2002-03-04

Neue Zürcher Zeitung

Thomas Burkhalter, 2002-03-04

Jenseits von Ost und West

Der Komponist, Gitarrist und Oud-Virtuose Mahmoud Turkmani sucht seine Lebensgeschichte und künstlerischen Ziele in eine adäquate musikalische Form zu bringen. Auf seiner zweiten CD, «Fayka», schafft der in der Schweiz lebende Libanese gemeinsam mit dem Bassisten Barry Guy und dem Perkussionisten Keyvan Chemirani eine kompromisslose Musik, die vor allem in ihrer Spontaneität und Dringlichkeit überzeugt. Musikalische Details sind in Mahmoud Turkmanis Kompositionen und Interpretationen von zentraler Bedeutung. Aus einer breiten Palette an rhythmischen, melodischen, tonalen und technischen Möglichkeiten formt der Komponist, Gitarrist und Oud-Virtuose ein musikalisches Ganzes und versucht, seine Lebensgeschichte und seine künstlerischen Ziele in eine adäquate musikalische Form zu bringen. Verschlungene Wege geht diese Musik; sie hüpft von Farbtupfer zu Farbtupfer, als müsste sie sich zwischendurch entscheiden, welcher der möglichen Pfade einzuschlagen sei. Libanon - Moskau - Bern Mahmoud Turkmanis Leben ähnelt den Schlangenlinien seiner Musik. Der 38-Jährige wohnt heute in der Schweiz, aufgewachsen ist er im Norden Libanons. In seinem Heimatdorf Halba und in der Nachbarstadt Tripoli spielte er als musikalisches Wunderkind an zahlreichen Festen auf, schlug daraus - so die Sicht des Vaters - allerdings wenig Profit und zog als Gage Süssigkeiten dem Geld vor; bis heute versteht die Familie nicht, warum der begabte Sohn und Bruder keinen Mainstream-tauglicheren Weg geht und in Libanon noch nahezu unbekannt geblieben ist. Während des fünfzehnjährigen Bürgerkriegs war Turkmani in Moskau, wo er seine aus der Schweiz stammende Frau traf und am staatlichen Konservatorium Komposition und klassische Gitarre studierte. Er lernte nach vorgegebenen klassischen Formen zu komponieren, was er in ähnlicher Weise bereits von der arabischen Kunstmusik her kannte. Bald einmal wurde ihm bewusst, dass er sich nicht einer musikalischen Form unterordnen, sondern die rhythmische und klangliche Substanz ins Zentrum seiner Musik setzen wollte. Turkmani begann, die Protagonisten der zeitgenössischen E-Musik zu studieren, kopierte sie und sah sich erneut in einer künstlerischen Sackgasse. Stephan Schmidt schliesslich, Turkmanis Lehrer am Konservatorium in Bern, ermunterte ihn, einen eigenen Weg zu suchen. Mut schöpfte Turkmani anfänglich aus den Erinnerungen an seine Jugend, in der er mit Freunden arabische Volks- und Kunstmusik und westliche Rockmusik imitiert hatte und sich dabei zu Beginn vor allem auf sein musikalisches Gefühl verlassen hatte. Schon bald, auf seiner ersten CD, «Nuqta», klang Turkmanis Suche nach einer individuellen Musik überzeugend - wenn auch ein wenig verhalten, in erlernten Strukturen befangen. - Weit entspannter klingt nun «Fayka», die eben erschienene zweite CD, die Mahmoud Turkmani im Interplay mit dem persischen Perkussionisten Keyvan Chemirani und dem britischen Bassisten Barry Guy zeigt. Die drei Musiker loten die Möglichkeiten ihrer Instrumente aus, die Stimmen verbinden sich auf verschiedenste Weisen und ziehen verblüffend leicht durch komplizierte Unisono- Passagen. In Improvisationen und in prägnanten, lose eingeschobenen kompositorischen Themen scheinen Guy und Chemirani oftmals mit Turkmanis Spiel zu verschmelzen, manchmal allerdings geraten sie im Sturm und Drang des Gitarristen und Oud-Virtuosen etwas in den Hintergrund. Turkmani spielt bisweilen wild wie ein Junge, der auf Süssigkeiten hofft, agiert technisch stets perfekt, wie in der Konservatoriumszeit antrainiert, und geht konsequent seinen Weg, auf Wissen und Können vertrauend. Der bundlosen arabischen Kurzhalslaute Oud entlockt er dank ausgereifter Gitarrentechnik und Spiel ohne Plektrum eine Klangvielfalt und Virtuosität, wie sie sonst kaum zu hören ist, und auf der Gitarre phrasiert er in rasenden Passagen präzis wie eine Maschine und strahlt dabei doch immer menschliche Wärme aus: Seine Finger finden Zeit, Saiten unterschiedlich anzuschlagen und abzudämpfen, Phrasen zu verlangsamen oder zu beschleunigen, radikal zu stoppen oder unvermittelt Gegenlinien einzuflechten. Turkmani gelingt es, seine Einflüsse auf sehr hohem Niveau zu verschränken, er zollt phasenweise jedoch seinem hohen Anspruch Tribut, sich nicht zu wiederholen, ständig zu Neuem aufzubrechen, nicht stillzustehen. Zuweilen riskieren er und seine Mitmusiker sehr viel und eilen derart ungestüm vorwärts, dass sie sich nicht mehr genügend Zeit nehmen können. Doch die enorme spielerische Präsenz des Trios macht dies zumeist vergessen. Inhalt vor Stringenz Nichts scheint Turkmani ferner zu liegen, als mit gewöhnlichen Jazzmusikern mehrheitstauglichen Oriental Jazz zu produzieren. «Fayka» ist denn auch alles andere als eine herkömmliche Ost-West-Fusion: Nie spielt Turkmani auf einem kleinen gemeinsamen Nenner, nie biegt er musikalische Skalen und Rhythmen zurecht, um hörerfreundlicher zu klingen. Auf seiner neuen CD versucht Turkmani seine kulturellen Erfahrungen und seine Identitäten zu einer sehr persönlichen Musik zu verarbeiten, ohne sich einer libanesischen oder klassisch westlichen Tradition unterzuordnen. Exemplarisch zeigt er damit auf, dass seine Musik als inner- und nicht als interkulturelles Phänomen gesehen werden kann - ein Ansatz übrigens, der auch andere multikulturelle Projekte in ein neues Licht stellen würde. Turkmani spielt mit seinen Identitäten, und er setzt dabei stärker auf inhaltliche Relevanz denn auf konzeptuelle Stringenz. Bewegung und dynamische Entwicklung prägen seine Ästhetik, Spontanität und Dringlichkeit sind Turkmanis künstlerische Trümpfe.

2002-02-02

http://www.radio19-4.de

Markus Gerboth, 2002-02-02

MAHMOUD TURKMANI : " fayka "

Das Münchner Label ENJA Records steht seit jeher für hochwertige Instrumental - und Jazzmusik, ohne daß Enja eine spektakuläre Pionierrolle in diesem Segment zukommt. Bei Enja hat der libanesische Gitarrist MAHMOUD TURKMANI seine nunmehr zweite CD eingespielt, die einen seltsam ambivalenten Eindruck hinterläßt. Das Repertoire besteht aus Kompositionen TURKMANI´s, die wechselweise mit der arabischen Laute oud bzw. der klassischen europäischen Konzertgitarre eingespielt werden. Als stilistische Besonderheit im Spiel TURKMANIS sind umfangreiche Erfahrungen im andalusischen flamenco unüberhörbar. Indem die Tradition der oud mit der des flamenco zusammengebracht wird, entsteht also im nominellen Sinne Weltmusik als ein crossover der Stile und Repertoires. Hier zeigt sich, daß TURKMANI in den gegensätzlichen musikalischen Systemen Orient/Okzident zuhause ist, denn seine Biographie enthält ausgedehnte Studienaufenthalte in Moskau sowie in der Schweiz. Allerdings fehlt der Platte - was ich als wohltuend empfinde - der allzu ostentative Optimismus gängiger Weltmusik, das unbeschwerte und farbenfrohe Spiel mit Versatzstücken, der typische Mischcharakter dieses genres. Im Ergebnis entsteht eine höchst interessante Saitenmusik, die mit fast kammermusikalischer Strenge erzielt wird. Die beiden Begleiter, der iranische Perkussionist Keyvan Chemirani sowie der englische Baßspieler Barry Guy sind - leider - nichts anderes als Statisten, die dem konzertanten Ereignis den einen oder anderen Tupfer verleihen. Deshalb groovt die Platte so gut wie überhaupt nicht, im Gegenteil: durch die unterschiedliche Skalierung der arabischen Musik und die andersartigen Halbtonschritte erscheint die Platte wie in moll getränkt. Aber, und das scheint mir das eigentliche Charakteristikum zu sein: sie spiegelt eine wohltuende Konzentration auf das Wesentliche. In ihrer Sprödigkeit hat die Musik etwas kontemplativ Ernstes und Beständiges, was mir als Radiokritiker wie Balsam erscheint. Zumindest die Liebhaber interessanter Gitarrenmusik werden sich über diese Platte freuen.

2001-01-01

Nuqta JAZZ 'N' MORE Nr 6/2001

Alfred Zimmerlin

Ein Oud-Spieler, der sehr kreativ mit der klassischen arabischen Musik umgeht.

Ein Oud-Spieler, der sehr kreativ mit der klassischen arabischen Musik umgeht. Ein Stück, das über einem Maqam in der Form eines improvisierten Taqsim entwickelt wird, aber auch in anderen Skalen moduliert wird. Er geht auch sehr kreativ mit der rhythmischen Seite dieser Musik um. Ein klassischer Taqsim würde völlig anders klingen. Also ein moderner Spieler, der diese Tradition sehr bewusst erneuert, habe ich den Eindruck, und der die Tradition liebt. Es geht ihm nicht darum, die Tradition auszubeuten, um irgend etwas Neues herzustellen, sondern es geht ihm wirklich um ein Lebendig-erhalten - und es lebt, wie er das spielt und das gefällt mir sehr und ich bin sehr überrascht, wie er das macht. Genau lokalisieren kann ich das diesmal nicht. Der Spieler scheint jedoch aus einem Land östlich von Ägypten zu stammen, aus dem Irak vielleicht oder aus dem Libanon usw. (Anmerkung JA: Turkmani stammt aus dem Libanon.)

2000-03-03

FonoForum 3/00

Tilman. Urbach

Nuqta

So unterschiedlich die geographische Koordinaten seines Lebens sind, so wenig lässt sich sein Gitarren-Spiel Kategoeisieren. "Fluchtpunkt aller Ausflüge ist Mahmoud Turkmanis stupende Gitarren-Technik, kein Plektrum-Gehusche, sondern ein wunderbarer, am klassischen Ideal geschulter Ton. Mitunter lässt sich Turkmani auch auf ein Zwiegespräch mit der arabischen Oud ein. Wird sein Spiel von Thomas Estermann, Stefan Kuen und Claudio Meneghelli komplettiert und gefächert, leuchten die Augen aller Gitarren-Fans. Toll!"

1999-02-07

Stephan Schmidt

Stephan Schmidt, Bern, 1999-02-07

Mahmoud Turkmani- Nuqta

Dass ein multikultureller Erfahrungshintergrund automatisch die Fähigkeit eines Musikers entwickelt, musikalisch neue Wege beschreiten zu können, ist zwar wünschenswert und wird gerne erwartet, ist aber durchaus nicht die Regel. Sehr oft provoziert die klassische Musikausbildung auch eine gewisse Eindimensi­onalität der jungen Nachwuchsmusiker: Multikulturelle Ansätze werden im Keim erstickt oder verkommen zu folkloristischen Querfeldein-Wildereien. Mahmoud Turkmani kann aus einem weitreichenden Erfahrungsschatz verschiedenster musikali­scher Welten schöpfen (libanesischer Ursprung, Studium in Moskau und in der Schweiz) und erreichte hierbei in der jeweili­gen Stilart seine eigene Meisterschaft - ob er nun auf dem Oud oder der klassischen Gitarre spielt. Nicht oft kann man behaupten, dass die angetroffenen Fä­higkeiten zu verschiedenen Musikerlaufbahnen führen könnten und dass der Entschluss, diese Fähigkeiten zum Aufbruch in neue Welten zu nutzen, wirklich vielversprechend ist. Einen Musiker wie Mahmoud Turkmani dazu anzuregen und ihn zu ermutigen, seine Wurzeln zu suchen und diese auch weiter­zuentwickeln, war eine grosse Freude und Notwendigkeit.

1999-01-01

Jazzdimensions

Carina Prange, 199.01.01

Mahmoud Turkmani - "Nuqta"

Arabische Musik ist es, die wir in erster Linie hören - aber sie hat etwas Modernes. Turkmani hat seinen eigenen Weg gefunden, seine ganz spezielle Ausdrucksweise, die dissonantes Spiel mit einbindet. Was uns zu Ohren kommt entspricht nicht den Erwartungen, die wir an Gitarren- und Oudmusik haben - aber es sind nicht chaotische, sondern gefühlsbetonte Klänge, die unweigerlich eine starke Faszination bewirken. Eine sehr hörenswerte Platte - besonders hervorzuheben ist "Point III", gespielt mit arabischer Laute und drei Gitarren!

06-06-2011

Lilith's Return

Ruth Kofmel

Adam war ein Langweiler

Es geschieht mir ganz recht. Komme ich daher und sage: «Keine Integration will ich sehen, vergesst die politische Korrektheit – gebt mir Kunst, möglichst konsequent und möglichst mutig.» Nur, wenn ich das dann bekomme, bin ich erst einmal so was von überfordert! Der Regisseur Frank Krug und der Choreograf Davide Camplani haben den Text «Lilith’s Return» von Joumana Haddad als Grundlage für ihr gleichnamiges Musik-Theater genommen. Es spielen drei Frauen mit dem Down-Syndrom vom Berliner Theater RambaZamba, begleitet von fünf Musikern. Es fängt harmlos an mit Gott im Nadelstreifenanzug, der aus Lehm Figuren knetet. Ich freue mich über das gelungene Bühnenbild und sitze etwas müde vom Arbeitstag entspannt in meinem Stuhl. Nicht für lange. Denn als nächstes haben die zwei jungen Frauen, die die Lilith verkörpern, ihren Auftritt und sie sind bis auf ein paar hautfarbener Unterhosen nackt. In meiner Überheblichkeit, erlaubte ich mir schon hie und da den Gedanken: «Ach ja, diese Nacktheit, haben wir nun schon oft gesehen; sie ist nicht immer gewagt und macht nicht immer Sinn.» Aber diese zwei Mädchenkörper, Ende der Pupertät, mit den spitzen, kleinen Brüsten, den runden Bäuchen, stämmigen Beinen, üppigen Hintern, dem Ausschlag, der sich über die Seite ausbreitet, der Glatze am Hinterkopf, die lassen meine Entspannung und Zurückgelehntheit in Sekundenschnelle in Beklemmung umschlagen. Und selbstverständlich macht es Sinn, diese Anfangsszene nackt zu spielen. Das tun sie also, sprechen ihren Text – ich weiss nicht, wohin gucken. Ertappe mich und andere Zuschauer dabei, wie der Blick zu den Musikern flüchtet. Aber, die zwei stehen ja kaum da vor mir, damit ich nicht hinschaue, nicht zuhöre, mich dem nicht aussetze. Also schaue ich hin und bin erleichtert, als sie sich endlich Kleider überziehen – ein weisses für den Tag, ein schwarzes für die Nacht. Das macht es etwas einfacher, aber auch nur ein wenig. Da ist immer noch dieser Text, der davon erzählt, wie die Lilith aus dem Paradies flieht: «Adam und das Paradies, sie haben mich angeödet (…).» Ein Text, der nichts ausspart, was das Frausein ausmacht. Die Widersprüchlichkeiten, die Unsicherheiten und das Unvereinbare. Es ist hohe Konzentration gefordert, um die Schauspielerinnen zu verstehen – aber ich komme nicht umhin, trotz der verwaschenen, manchmal undeutlichen Aussprache, das Bühnendeutsch zu bewundern. Und ich komme nicht umhin, vor allem bei der einen Darstellerin immer wieder zu denken: «Was für eine Schauspielerin!» Ich erhole mich langsam von meinem Einstiegsschock und muss lächeln, als sie aus der Glaskabine heraus ins Publikum guckt und zu Gott sagt: «Entspannen sie sich etwas.» Das Stück endet mit den zwei Frauen, die sich daran machen den Deckel der Kiste, die mit Paradies angeschrieben ist, anzuheben. Ich bin dann froh um meine Sitznachbarin; wir gucken uns an und wollen etwas sagen, aber heraus kommt nur ein knappes «Wahnsinn» und «Krass» – sonst sind wir sprachlos.

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Musikalisch neue Welt

Peter Maier, 01.01.2000

Gitarre Aktuell
Mahmoud Turkmani- Nuqta

Turkmanis raffinierte Tonfärbungen sind nicht allein auf seine Spieltechnik zurückzuführen, obwohl er wesentliche Artikulationen und Phrasierungen von der Laute bzw. dem Oud auf die Konzertgitarre überträgt, sondern sie sind insbesondere von Kompositorischer Qualität bzw. eine Mischung aus beidem. Intressant ist hierbei, was auch den ausserordentlichen Reiz dieser Musik ausmacht, dass die stilistischen Kreuzungen nicht ausgehen (wie üblicherweise) von klassischem Material und Beimischungen anderer Musikeigenarten, sondern umgekehrt. Turkmanis Musik sowie sein Musikverständnis und –gefühl ist in der orientalischen Musik verwurzelt und tastet nach Inspirationen, die er in der Ausbildung mit europäischer Musik kennen gelernt hat. Natürlich ist es müssig, Ursprung, Verknüpfung nachzuspüren, wenn man sich viel besser auf die Musik einlassen sollte, um ihre emotionale Wirkung zu erfahren. Und davon gibt es in dieser Musik, mehr als genug. Vielleicht ist >>Nuqta<< die „ungekrönte“ Platte des vergangenen Jahres.